27.01.2025
Sehr geehrte Frau Rektorin Prof. Dr. Krieglstein,
sehr geehrte Frau Ministerin Olschowski,
sehr geehrter Herr Dr. Blume,
sehr geehrter Herr Dr. Klein,
die Kommunikation über offene Briefe gehört bei uns gewiss nicht zum üblichen Prozedere, gar zum „guten Ton“ oder auch nur den üblichen Umgangsformen. Die untragbare Lage an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – insbesondere für jüdische Studierende und darüber hinaus jene, die sich gegen Antisemitismus engagieren – lässt uns indes zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine andere – uns gleichermaßen effektiv erscheinende – Handlungsoption.
Mit äußerst großer Sorge und Bestürzung haben wir im Lauf des Jahres 2024 Berichte aus den Organen der Verfassten Studierendenschaft der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zur Kenntnis genommen. Die Bandbreite reicht von der Einräumung einer öffentlichen Plattform für unwidersprochene antisemitische Stimmungsmache durch einzelne Personen und/oder antisemitische Gruppen, wie Students for Palestine, die – ausweislich ihrer Social-Media-Aktivitäten – das größte antisemitische Einzelmassaker seit dem Holocaust als Widerstandsakt verherrlichen, strafbare Holocaustverharmlosung betreiben, wogegen entsprechende Ermittlungsverfahren bereits eingeleitet wurden, und schon gemäß der veröffentlichten Protokolle des Studierendenrates einen beträchtlichen Raum in den Sitzungen des Studierendenrates eingenommen haben, über Ausgrenzung von antisemitismuskritisch engagierten Personen und/oder Gruppen sowie von jüdischen Studierenden und ihren Organisationen bis hin zu offenen Drohungen. Letztere führten ebenfalls bereits zu Ermittlungsverfahren und im Sommer 2024 zur Notwendigkeit der kurzfristigen Verlegung einer antisemitismuskritischen wissenschaftlichen Veranstaltung von den Räumen der Universität in die Räume unseres Gemeindezentrums – ein trauriger Höhepunkt des vergangenen Jahres. Ein anderer dieser traurigen Höhepunkte war (noch davor) der Beschluss des Studierendenrates vom 28.05.2024, der die Annahme des Antrags der antisemitischen Gruppierung Students for Palestine unter dem Titel „Definition von anti-palästinensischem Rassismus“ zum Gegenstand hatte. Abgesehen von der eklatanten Verfälschung historischer und juristischer Fakten und der zumindest unreflektierten Verwendung propagandistischer Begriffe – auch aus offenkundig vernichtungs-antisemitischen ideologischen Zusammenhängen – beinhaltet der durch den Studierendenrat angenommene Text dieser sog. „Definition von anti-palästinensischem Rassismus“ spätestens unter Ziffer 4 eine Formulierung, die nicht anders zu verstehen ist, als die offene Äußerung der Absicht der Delegitimierung des Staates Israel.
Nach jahrhundertelanger Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung – sowohl in christlich als auch in muslimisch geprägten Gesellschaften – die im Holocaust, also der industriell-bürokratischen Vernichtung von 6 Millionen Juden, gipfelte, darin aber leider nicht ihr Ende fand, ist jeder sogenannte „Antizionismus“ – also die Ablehnung der Existenzberechtigung des einzigen Staates der Welt, der kein ausschließliches, aber ein ausdrückliches und bedingungsloses Schutzversprechen gegenüber allen Juden weltweit abgibt und stets gewährleistet, dass diese der eigenen Ausgrenzung, Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung nie wieder wehrlos gegenüberstehen, – zumindest im objektiven Tatbestand eindeutig und ohne jeden Zweifel antisemitisch. Die Menschheitsgeschichte macht diese Feststellung – die so auch durchweg dem gegenwärtigen Stand der Antisemitismusforschung entspricht – zum Axiom. Und auch wenn Axiome keines weiteren Beweises bedürfen, sei der Hinweis darauf gestattet, was bei realitätsnaher Betrachtung mit Juden – etwa im Nahen Osten – passiert, sollte Israel verschwinden. Allerspätestens nach dem 07.10.2023 kann daran – gesunden Menschenverstand vorausgesetzt – auch nicht der aller geringste Zweifel verbleiben. Dementsprechend gehört „das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung“ zu den aktuellen Erscheinungsformen von Antisemitismus gemäß der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die von nahezu allen jüdischen Organisationen und zahlreichen Staaten anerkannt und übernommen wurde. Zu diesen Staaten gehört nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland durch Beschlüsse der Bundesregierung vom 20.09.2017 und des Bundestages vom 17.05.2019 und zuletzt auch vom 07.11.2024. Darin wurden vorherige Beschlüsse bekräftigt und die Bundesregierung aufgefordert, sich gegenüber den Ländern und Kommunen dafür einzusetzen, dass sie entsprechende Regelungen implementieren und, sofern noch nicht geschehen, die IHRA-Antisemitismusdefinition als maßgeblich heranziehen. Die Beauftragten des Bundes und der Länder für den Kampf gegen Antisemitismus sowie die Melde- und Beratungsstellen für Opfer von Antisemitismus und der Zentralrat der Juden in Deutschland K.d.ö.R. tun dies bereits.
Uns ist auch nicht entgangen, dass die vom Studierendenrat beschlossene antisemitische „Definition von anti-palästinensischem Rassismus“ bereits für den Versuch benutzt wurde, antisemitismus-kritische Tätigkeit – an der auch jüdische Studierende beteiligt waren – zu unterbinden und auszugrenzen (hierfür verweisen wir etwa auf den Antrag des „Referats gegen Rassismus“ unter dem Titel „Antrag auf Entfernung von rassistischen Veröffentlichungen“ zur Sitzung des Studierendenrats vom 16.07.2024).
Als Jüdische Gemeinde Freiburg und Körperschaft des öffentlichen Rechts haben wir neben dem kulturellen auch einen klar definierten Schutzauftrag gegenüber unseren Mitgliedern. Dazu gehören auch jüdische Studierende. Entsprechend können wir Antisemitismus an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, zumal in und von Einrichtungen der Universität, nicht tolerieren. Wir sind vielmehr verpflichtet, darauf zu reagieren. Gleichwohl haben wir in Absprache mit betroffenen jüdischen und antisemitismuskritisch engagierten Studierenden abgewartet, ob die Strukturen der Verfassten Studierendenschaft K.d.ö.R. und/oder die Leitungsgremien der Universität aus unserer Sicht hinreichend und angemessen auf die beschriebenen Vorgänge reagieren. Dies ist aus unserer Sicht – bedauerlicherweise – ausgeblieben. Wir haben daraufhin dem vertretungsberechtigten Vorstand der Verfassten Studierendenschaft mit Einwurfeinschreiben vom 10.01.2025 – das am 11.01.2025 per Post rausging – die Möglichkeit eingeräumt, zu den dargestellten Sachverhalten Stellung zu nehmen. Die Organe der Studierendenschaft sahen sich dazu bislang nicht imstande.
Im „Informationsschreiben“ des Rektorats der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zum Umgang mit dem Israel-Palästina-Konflikt hieß es bereits Ende Juli 2024: „Die Universität Freiburg duldet keine Ausgrenzung oder gar Bedrohung ihrer Studierenden und Beschäftigten, und dagegen gehen wir mit allen Mitteln vor, die uns zur Verfügung stehen.“ In einer weiteren Mitteilung im Herbst, bei der es um Veranstaltungen zum Nahostkonflikt ging, hielt das Rektorat fest: „Alle Veranstaltungen von Studierenden, die über die Verfasste Studierendenschaft bei der Universität Freiburg angemeldet werden, müssen die gesetzlichen Vorgaben gemäß § 65 Landeshochschulgesetz für Baden-Württemberg erfüllen. Das heißt etwa, dass sie die politische Neutralität der Verfassten Studierendenschaft wahren müssen.“ Was für Veranstaltungen der Verfassten Studierendenschaft gilt, muss erst recht für politische Grundsatzbeschlüsse ihrer Organe gelten; zumal, wenn aus Ihnen Folgen abgeleitet werden, die die Studierenden unmittelbar betreffen. Die politische Neutralität ist spätestens dann verletzt, wenn Studierende aufgrund der Beschlüsse des Studierendenrates dafür ausgegrenzt werden, dass sie eine legitime politische Position vertreten. Zumal, wenn es sich dabei um eine Position handelt, die Teil der – immer wieder durch Vertreterinnen und Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in ihrer historischen Verantwortung betonten – deutschen „Staatsraison“ ist. Für jüdische Studierende und Jüdinnen und Juden generell ist das Bestehen auf der Existenzberechtigung des Staates Israel – ihrer einzigen Lebensversicherung – unverrückbarer Teil ihrer Identität; dieser Tage auch immer wieder bekräftigt durch die Generation der Holocaustüberlebenden, die auch Teil unserer Gemeinde sind. Der Beschluss des Studierendenrates vom 28.05.2024, der das Bestehen auf und die Forderung nach Anerkennung der Existenzberechtigung des Staates Israel als rassistisch verurteilt, verletzt mithin in eklatanter Weise die gesetzlich vorgegebene politische Neutralität. Angesichts des bisherigen monatelangen, ja bald zwei Semester fortdauernden Schweigens des Rektorats zu diesem Beschluss müssen wir mithin mit großem Bedauern feststellen, dass die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hier bisher ihrem eigenen Anspruch und auch ihren gesetzlichen Vorgaben nicht nachgekommen ist.
Vor einem Jahr – am Tag der Befreiung von Auschwitz und internationalen Holocaustgedenktag – erklärten wir in einer öffentlichen Stellungnahme vor dem Hintergrund des explosionsartigen Anstiegs antisemitischer Straftaten im letzten Quartal 2023 infolge des größten antisemitischen Einzelmassakers seit dem Holocaust, dass Gedenkarbeit nicht in wohlfeilen Sonntagsreden bestehen könne, sondern auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen müsse. In jener Erklärung unterstrichen wir deutlich – auch und insbesondere in Verantwortung gegenüber Mitgliedern unserer Gemeinde, die den Holocaust überlebten: „Wer Antisemiten – wie jenen von „Palästina spricht“ – ein Podium ohne Widerspruch bietet und mit ihnen marschiert, ist kein Freund der Jüdischen Gemeinschaft und für die Israelitische Gemeinde Freiburg K.d.ö.R. damit auch kein Partner (mehr) in der Gedenkarbeit.“ Die betraf zuvorderst den Freiburger Kreisverband der Partei „Die Linke“ sowie Einzelpersonen aus diversen Vereinen. Dass wir nun ein Jahr später zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz vor der Situation stehen, dass öffentlich-rechtliche Institutionen und Körperschaften, wie die Verfasste Studierendenschaft der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, über Monate hinweg Antisemiten ein Podium geboten und darüber hinaus noch deren antisemitische Anträge angenommen haben und die Universität dem – jedenfalls in Teilen – offensichtlich keinen hinreichenden Einhalt geboten hat, ist auf vielen Ebenen und zutiefst alarmierend.
In unserer Schutzverantwortung als Jüdische Gemeinde gegenüber jüdischen Studierenden in Freiburg bitten wir Sie hiermit dringend, diesen untragbaren Zustand an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg umgehend zu beheben bzw. in aller Entschlossenheit darauf hinzuwirken. Einstweilen werden wir sämtliche juristischen Schritte von unmittelbar betroffenen Studierenden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gegen die genannten Beschlüsse der Verfassten Studierendenschaft K.d.ö.R. und ihrer Organe umfassend und in jeder Hinsicht unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Irina Katz
Vorsitzende der
Israelitischen Gemeinde Freiburg K. d. ö. R.
Nikita Nikischin
Beauftragter für Sicherheit, Recht und Kommunikation
Israelitische Gemeinde Freiburg K. d. ö. R.