Gedenkveranstaltung am 24. Januar 2021 anlässlich des 76. Jahrestags der Befreiung der Häftlinge des KZ Auschwitz-Birkenau

Gemeinde in Synagoge

In einer Videobotschaft zum 76. Jahrestag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust mahnt Bundespräsident Steinmeier: „Wir wollen nicht vergessen, was geschehen ist. Und wir werden nicht vergessen, was geschehen kann. … Die größte Gefahr für uns alle geht vom Vergessen aus.“ In eben dieser Absicht, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen, veranstaltete die Israelitische Gemeinde Freiburg wenige Tage zuvor am Sonntag, den 24. Januar 2021 im Betraum ihrer Synagoge eine Gedenkveranstaltung, in deren Mittelpunkt die Erinnerung an die Angehörigen des Sonderkommandos des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau stand. In ihrer Einführung sagte Irina Katz, Vorstandsvorsitzende der Gemeinde: “Zu den zahlreichen Facetten der menschenverachtenden Verbrechen des Hitler-Regimes zählt auch das Sonderkommando, das die Nazis im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zur Mithilfe bei der Ermordung der Häftlinge aufgestellt hatten. Dabei handelte es sich um ein Arbeitskommando, zusammengesetzt aus jüdischen Gefangenen des Lagers. Ihre Aufgabe war es, den SS-Angehörigen bei der Vernichtung der Deportierten zu helfen. Dies bedeutete vor allem die Leichenbeseitigung in den Verbrennungsöfen, eine Arbeit, die die Wachleute nicht selber übernehmen wollten und deshalb ausgesuchte Gefangene dazu abkommandierten. Leider erhält dieses dunkle Kapitel der Naziverfolgungen bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen zuweilen nur eine untergeordnete Beachtung, handelt es sich doch zahlenmäßig „nur“ um rund 2200 Betroffene, eine geringe Zahl angesichts der insgesamt 6 Millionen jüdischer Opfer. Der psychische Druck jedoch, der auf den Angehörigen des Sonderkommandos lastete, lässt sich nicht annähernd ermessen.“

Für die Veranstaltung hatte Irina Katz Professor Dr. Gideon Greif aus Tel Aviv eingeladen, der in einem Vortrag mit dem Thema „Die Unglücklichsten unter den Unglücklichen“ diese weniger bekannte Seite der Entmenschlichung der Juden durch die Nationalsozialisten beleuchtete. Professor Greif ist seit langem auf dem Gebiet der Erforschung der Holocaustverbrechen tätig und hat dazu wichtige Publikationen veröffentlicht. Zu seinem Spezialgebiet zählt das Sonderkommando des KZ Auschwitz-Birkenau. In aller Ausführlichkeit schilderte Greif den Mechanismus der Todesmaschinerie des Lagers Auschwitz und die Funktion des Sonderkommandos im Ablauf der fließbandmäßigen Beseitigung der Leichen. Zeitweise betrug die Zahl der täglich Ermordeten 10.000 bis 20.000 Menschen, deren Leichen in den Verbrennungsöfen eingeäschert wurden. Traumatisiert durch diese Erlebnisse suchten etliche Angehörige des Sonderkommandos den Freitod, die übrigen der 2200 Abkommandierten wurden nach und nach von den Wachen ermordet; lediglich 110 von ihnen konnten das Grauen überleben. Bildmaterialien und Zeichnungen, die die Verbrechen dokumentieren, ergänzten den Vortrag. Es folgte eine kurze abschließende, von Nikita Karavaev moderierte Diskussionsrunde, in die auch Professor Pavel Polian miteinbezogen war.

Mann redet zu Gemeinde
Dialog in Gemeinde
Musikact in Synagoge
Maenner sitzen an Tisch

Landesrabbiner Moshe Flomenmann, der ebenso wie Volker Beck, ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestages, und Julia Wohlrab, Leiterin des Freiburger Dokumentationszentrums Nationalsozialismus, per Videoschalte an der Gedenkstunde teilnahm, mahnte, die Vergangenheit nicht zu ignorieren. Denn die Shoa hat es gegeben und sie wird immer ein historisches Faktum bleiben. Für alle Opfer des Holocaust sprach der Landesrabbiner das Gebet „El male rachamim“.
In weiteren Kurzansprachen forderten Gabi Rolland, Mitglied des Landtags Baden-Württemberg, und Pfarrerin Gabriele Hartlieb, Leiterin der Evangelischen Stadtkirchenarbeit in Freiburg, zu der Verantwortung für den Holocaust zu stehen und gegen Antisemitismus und Judenhass, wo immer Anzeichen im Alltag sichtbar werden, mit Entschiedenheit anzugehen.

Rabbi ueber Videocall
Mann ueber Videocall
Frau spricht zu Gemeinde
Gemeindemitglied spricht

Weihbischof Dr. Peter Birkhofer betonte in seiner Ansprache, dass Erinnerung und Gedächtnis theologische Kategorien sind, die tief in der christlichen und jüdischen Glaubenstradition verankert sind. Daraus entsteht geradezu eine Verpflichtung, sich der Vergangenheit zu stellen, auch mit all dem Bösen, das sich gezeigt hat. Doch das Böse darf nicht die Oberhand bekommen, in dem der Holocaust relativiert, geleugnet oder missbraucht wird. Es ist wichtig, dass Gesellschaft und Kirchen wachsam sind und mit einer proaktiven Haltung für Menschlichkeit, Demokratie und Verständigung eintreten. Dass in Freiburg ein NS-Dokumentationszentrum aufgebaut wird, das die Verstrickung in die nationalsozialistische Herrschaft insbesondere auch der akademischen, der kirchlichen und der gesellschaftlichen Eliten aufzeigt, begrüßte der Weihbischof in besonderer Weise und er versprach die Unterstützung des Zentrums durch die Erzdiözese Freiburg.

Bischof entzuendet Kerzen
Frau entzuendet Kerze
Mann entzuendet Kerze
Gemeindemitglieder entzuenden Kerzen
Mann entzuendet Kerze 2
Gemeindefuerung

Mit dem Entzünden von sechs Kerzen für die sechs Millionen jüdischen Opfer während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft und einem Psalm-Gebet, das gemeinsam gesprochen wurde von Kantor Moshe Hayoun und Boris Gschwandtner vom katholischen Stadtdekanat Freiburg, ging die Gedenkstunde zu Ende. Irina Katz erinnerte in ihrem Schlusswort an Paul Sobol, der als Zeitzeuge im Jahr zuvor in der Freiburger Synagoge über seine KZ-Haft in Auschwitz berichtet hatte und im November 2020 verstorben ist, und bedankte sich bei den jungen Künstlerinnen Dana Bostedt (Violine) und Lara Faria Fonseca (Harfe) für ihre virtuose musikalische Gestaltung.

Kerze